"Friere nur nicht. Mit klammen Fingern kann man nicht üben" (Brief der Mutter an Adolf 10.01.1891)
Gustav Adolf Huber wird am 13.11.1872 als Sohn des selbständigen Konditors Gustav Adolph Huber und der Cäcilie,
geb. Weißenborn in Magdeburg geboren. Noch vor der Geburt stirbt der Vater an Lungenentzündung. Als die Mutter den
Bäckergesellen heiratet, führt dieser das Geschäft weiter. Die Eltern sorgen für eine musische Ausbildung der Kinder.
Emilie (Mimi), die Älteste spielt Klavier und Adolf erhält Violinunterricht.
Von 1888 bis 1890 besucht er die "Großherzogliche Orchesterschule" in Weimar, Hauptfach Violine, Nebenfach Pianoforte.
Einer seiner Hauptfachlehrer ist Karl Halir (1859-1909). Der Konzertmeister der Berliner Philharmoniker und Mitglied
des berühmten Joachim-Quartetts sollte später unter dem Dirigenten Richard Strauss die Zweitfassung des
Sibelius-Violinkonzertes zur Uraufführung bringen. Ein weiterer herausragender Geiger unterrichtet Adolf, als er ab
Oktober 1890 Student des Leipziger Conservatoriums wird. Adolf Brodsky (1851-1929) hatte Jahre zuvor das Violinkonzert
von Tschaikowski in Wien zur Uraufführung gebracht.
"(…) Dass Du bei deinen Lehrern so gut angesehen stehst, das ist ein mächtiger Wert. Den musst du zu wahren
wissen! (…)"(1), schreibt die Mutter dem Achtzehnjährigen nach Leipzig und mahnt, sich durch nichts vom Studieren
ablenken zu lassen. Daheim macht der Familie die heraufziehende Wirtschaftskrise der 90er Jahre und dem Stiefvater
eine Lungenkrankheit zunehmend zu schaffen.
Erst wenige Jahre zuvor war ein Mietshaus incl. Bäckerei gekauft worden. Wegen der Arbeitsunfähigkeit des Vaters
muss die Bäckerei vermietet werden. Das Geschäft des Nachfolgers läuft mäßig: "(…) Schnabel scheint dieses Vierteljahr
ja keine Miete zahlen zu können. Er hat nach verschiedenen Mahnungen 200 Mk gebracht. Jedenfalls müssen wir einen
anderen Bäcker suchen, wenn er nicht in Kürze seinen Verbindlichkeiten nachkommt. (…)"(2) Auch mit den anderen Mietern
gibt es Probleme. "(…) Wir müssen tüchtig aufmucken, jedenfalls lassen wir die schlechten Leute alle ziehen. (…)" (2)
Unter der Hand erfährt Adolf, dass zum Oktober 1891 eine erste Violinstelle in Meiningen frei wird. Er bekommt den Rat
nicht bis zur offiziellen Ausschreibung zu warten, dann würden sich "Hunderte melden". Die umsichtige Mutter rät
ab: "(...) Es wäre von großen Vorteil, wenn Du in Leipzig soweit kämst, dass Du die Gewandhauskoncerte mitspielen
könntest usw. Dann wäre Dir dann eine bessere Stelle sicher." Vater " versprach es für Dich noch ein Jahr zu bezahlen,
(...) " (3)
In ihren Briefen spiegelt sich die Sorge um die finanzielle Sicherheit wider - so im November: "(…) Der Papa geht eben
zum Begräbnis der Frau Rätz (Unsere alte treue prompte Zahlerin)" Von Bankkonkursen ist die Rede, "die sich noch
täglich mehren, (...) und dadurch werden alle Menschen so ängstlich, dass keiner etwas rausgibt (…) Nach Weihnachten
bricht noch viel zusammen. Lieber Adolf, das sind alles Sachen, die Dich in Deinem Studium nicht berühren dürfen. (…)" (4)
Die Leipziger Zeugnisse verraten, dass Adolf sich der Geige, dem Klavier, der Musiktheorie und Komposition mit Fleiß
widmet, die Chorstunden hingegen nicht besonders mag. Die Vorlesungen in Musikgeschichte und Ästhetik betreffend,
vermerkt der Dozent im Zeugnis 1891 nur knapp: "Kam." und ein Jahr später: "Kam anfangs." Im Juni 1892 beendet Adolf
sein Studium.
Er bleibt, wie es scheint, in Leipzig. Was er für eine Anstellung hatte ist bisher nicht bekannt. Es sieht aber so aus,
als wollte er Abstand zu Magdeburg halten. Das Klima zu Hause wird mit voranschreitender Krankheit des Vaters immer
bedrückender, dessen Jähzorn immer unerträglicher.
Die Mutter berichtet im darauf folgenden Jahr über erneute Konkurse in der Umgebung, klagt über die Hemmungslosigkeit
der Gläubiger, über Zank und Streit im Laden und - nicht ohne Hintergedanken bezüglich ihre Sohnes, der seine 90 Mark
Gehalt immer schnell um die Ecke bringt - über die negativen Auswirkungen der Krise auf die Moral der Jugend: "(…)
ich bin heute so verstimmt, dass etwas wie Menschenverachtung über mich kommt. (…)" (4) Ein Trost: Es gelingt, die
Bäckerei gut zu verkaufen. Auch kann sie immer wieder Geld für Adolf abzwacken, ihn dabei mahnend, sparsam zu sein und
auf die Gesundheit zu achten. Im Mai stirbt der Stiefvater an Tbc.
Als Adolf sich mit dem Gedanken trägt, nach Wien zu gehen, ist die Mutter sehr besorgt. "(…) Überdies müsste ich Dir
raten, nicht nach Strauß zu gehen, was willst Du da? In der Welt herumziehen oder in diesem erbärmlichen, leichtlebigen
Wien? Was kannst Du doch noch lernen von dieser leichtlebigen Musik? Vergehen von Leib und Seele, das wäre ungefähr das
Resultat! (…)" (5)
Dann ist in einem Brief von einem bevorstehenden Engagement in der Schweiz die Rede. Nur Monate später tritt Adolf
jedoch eine Stelle als zweiter Geiger in Schweden an. Neben dem Dienst zieht er mit einem Kollegen konzertierend von
Gutshof zu Gutshof, was seiner Vorliebe für das "lose" Leben entgegenkommt. Aus dieser Zeit stammt die Anekdote, nach
der er auf einer seiner Konzerttouren über Land eine vornehme deutschsprachige Gesellschaft brüskierte, indem er so
provokant wie ordinär über die ganze Tafel rief: "Gib mich mal die Kanne ribber!"
Nur wenige Jahre später kehrt Adolf nach Deutschland zurück und hat, nach Aussage seiner Tochter, ein Engagement in
Leipzig oder Weimar. Es muss dann so ungefähr 1902 sein, als in Magdeburg eine junge Musikliebhaberin das Konzert
eines Laienorchesters besucht und zu ihrer Freundin meint, als sie den sehr kurz gewachsenen Dirigenten am Pult
erblickt: "Den Kleenen möchte ich durch den Saal tragen." 1903 ist es soweit - Adolf und Agnes heiraten.
Sesshaft geworden beginnt Adolf im öffentlichen Musikleben Magdeburgs eine Rolle zu spielen. "(…)Von 1895 bis 1905 war
er Dirigent des Gesangsvereins Robert Schumann in Magdeburg. Nachdem er 1909 schon Rudolf Fischer für ein Jahr vertreten
hatte, übernahm er schließlich von 1910 bis 1920 die Leitung des Orchestervereins Magdeburg. H. erteilte als Musiklehrer
sowohl am Konservatorium als auch privaten Unterricht im Geigen- und Klavierspiel. Zeitweilig war er Dirigent des
Kirchenchores der Pauluskirche in Magdeburg. (…)" (Magdeburger Archiv (6))
Die Privatschüler unterrichtet er in den eigenen Räumen des elterlichen Mietshauses in der
Scharnhorststraße 8a. Es kommen Kinder, aber vorrangig erwachsene Musikliebhaber aus der Mittelschicht, Kaufleute,
Geschäftsinhaber, Apotheker, die Tochter eines Gerichtsbeamten. Bernhard Engelke - ein Ingenieurssohn, wird später
Musikschriftsteller und Leiter des Magdeburger Domchores. Lotte Lehmann, Tochter eines befreundeten Kaufmanns wird
Geigenlehrerin.
Wahrscheinlich entstehen in der Studienzeit Adolfs erste Kompositionen. Zu den besonders verehrten Vorbildern gehören
Brahms und Tschaikowski. Als Geigenlehrer beginnt Adolf gezielt Stücke für seine Schüler zu schreiben, und Stiefbruder
Hans bemerkt in seinem Glückwunsch zum 25. Geburtstag: "(…) meine Wünsche gehen nur dahin, zum Schaffen Deiner
Kompositionen Dir edle, tiefe Gedanken zu verleihen.(…) " (7) Das erste Stück, dass uns vorliegt, stammt aus dem Jahr 1903.
Für Schüler gedacht, wirkt seine Musik nicht "pädagogisch". Sie ist lebendig, humorvoll, hat musikantischen Schwung
und weist eine gewisse Schwäche für sinfonisch-pathetische Schlüsse auf. Unter den Tänzen gibt es einen "Springtanz (…) für meine liebe Ruth". Tochter Ruth erinnert sich, dass sie immer als Versuchskaninchen herhielt, die Stücke des Vaters zuerst spielte, wonach dieser noch ständig veränderte, wieder spielen ließ, wieder veränderte - was ihr ziemlich auf die Nerven ging.
Es entstehen eine Reihe einsätziger Concertinos für Violine und Klavier und verschiedene andere Stücke. Die
"edlen tiefen Gedanken" liegen ihm dabei nicht so sehr. In den slawisch-wienerischen Anklängen seiner Musik findet
sich eher jene Sehnsucht nach Leichtigkeit und Unbeschwertheit wieder, die schon die Mutter beunruhigte.
Es war Bestandteil der Atmosphäre vor dem Ersten Weltkrieg, in der auch die Operette boomte. Der romantisch- elitäre
Ernst eines Richard Wagner, der dazu parallel hoch im Kurs stand, dürfte Adolf ziemlich fremd gewesen sein. Ganz zu
schweigen von der späteren Sprödigkeit eines Hindemith oder gar Schönbergs, der immerhin im selben Jahr wie Adolf
geboren wurde. Im Jahr 1912 erscheint Adolfs temperamentvolles "Zigeunerständchen".
Vielleicht ist es ja kein reiner Zufall, dass er auch seine Geige bei einem Magdeburger Zigeuner kauft.
Die meisten seiner Schüler-Kompositionen werden beim damaligen Eulenburg-Verlag in Leipzig verlegt. Daneben erscheinen
zahlreiche Transkriptionen bekannter Opernmelodien in zwei Ausgaben der musikalischen Reihe: "Der Opernsaal".
Auf die beliebten Huberschen Neujahrskonzerte am offenen Hinterhoffenster wartet jedes Jahr die ganze Nachbarschaft.
Adolf, Tochter Ruth, ihr Bruder Hans und oft einer der Cousins musizieren auf ein oder zwei Violinen, Cello und Klavier,
manchmal - erinnert sich Ruth, kommt noch ein Horn hinzu: "Ohne feste Arrangements wurde einfach drauflos gespielt".
Da erklingen dann populäre Melodien wie "Ach du lieber Augustin" oder aktuelle Schlager wie "Wo sind deine Haare
geblieben". Vielleicht war auch der eine oder andere Jazzschlager dabei, den Adolf im Radio gehört hat.
Aus den 12 Jahren der Nazidiktatur sind keine weiteren Kompositionen bekannt. Adolf wäre nicht der Einzige, dem es in
dieser Zeit die Sprache verschlagen hätte. Viele Künstler unterschätzten Hitler. Lediglich 1933 erscheint noch eine
kleine, heitere Serenade im ersten Heft der Zeitschrift "Musikalische Fundgrube". Das Vorwort gibt etwas von der
erschöpften Atmosphäre der Zeit wieder, nachdem ununterbrochene soziale und politische Kämpfe für eine bessere
Gesellschaft nur zu Niederlagen geführt hatten.
"(…) Wir leben in einer Zeit harten Lebenskampfes. Ermüdet durch Überspannung der Arbeitskräfte scheint den Menschen
das Leben oft sinnlos. Mit Recht glauben sie daher in der Kunst und besonders in der Musik Mut und Freude wieder finden
zu können. Durch Oper und Konzert werden die Erholungsstunden ausgefüllt, und durch den Rundfunk stürzt sich der
Kunstfreund mit Begeisterung in ein Meer von Musik aus aller Welt.(…) " (8)
Von offizieller Seite wird Adolf in den dreißiger Jahren nahe gelegt, keine Juden mehr zu unterrichten. Er hält sich
nicht daran. Um nicht aufzufallen, weist er die zahlreichen jüdischen Schüler an, ihn nicht mehr aufzusuchen. Er selbst
geht zu ihnen. 1938 fallen die Synagoge in der Großen Schulstraße und viele Geschäfte jüdischer Bürger den
faschistischen Pogromen zum Opfer. Wie es in der Homepage der Stadt Magdeburg heißt, werden im Zuge dessen "(…) 113
Personen verhaftet (…)" und ins KZ Buchenwald abtransportiert. Mit den Jahren verschwindet auch ein großer Teil von
Adolfs Schülern. Insgesamt werden 1521 Magdeburger Juden und über 600 Magdeburger Sinti (deutschsprachige Zigeuner)
Opfer des Holocaust.
Auf Grund seiner schon immer eher schwächlichen Konstitution wird Adolf nie Soldat. Sollte vielleicht deshalb sein
Sohn unbedingt Offizier werden? Seit dem Deutsch-Französischen Krieg und der Reichseinigung 1871 durch "Blut und Eisen"
verband sich der kaisertreue Patriotismus, der sicher auch Adolf prägte, verstärkt mit einer gesellschaftlichen
Aufwertung des Militärs. Einzig die Sozialdemokratische Partei hielt dagegen, bis auch sie 1914 zur
"Vaterlandsverteidigung" aufrief.
Sohn Hans wird später dann doch Angestellter bei der Magdeburger Straßenbahn, meldet sich aber 1939, als Hitler Polen
überfällt, freiwillig zur Wehrmacht. Als wenige Jahre später Bombenangriffe der Alliierten drohen,flüchtet Adolf mit seiner Frau nach Thürmsdorf bei Dresden, wo er 1943 einen Schlaganfall erleidet. Er ist inzwischen 71 Jahre alt.
Noch einmal kehrt er nach Magdeburg zurück. Unterrichten kann er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Auch findet
er nach den schweren Bombardierungen im Januar 1945 eine völlig zerstörte Stadt vor. 90 Prozent der Altstadt liegen in
Trümmern. Sein Haus ist eines der wenigen, fast unbeschadet gebliebenen Gebäude im Ruinenmeer. Im Juli 1946 trifft
Adolf ein weiterer Schlag. Hans, heil aus dem Krieg zurückgekehrt, stirbt an einer plötzlichen Hirnhautentzündung.
Der Vater stirbt nur Monate später am 01.11.1946.
Quellen:
(1) Brief der Mutter an Adolf vom 10.01.1891
(2) Brief der Mutter an Adolf vom 11.01.1891
(3) Brief der Mutter an Adolf vom 28.04.1891
(4) Brief der Mutter an Adolf vom 22.11.1891
(5) Brief der Mutter an Adolf vom 19.02.1893
(6) http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/1643.htm
(7) Brief von Hans Burkard an Adolf vom 21.11.1895
(8) "Musikalische Fundgrube" Jg. 1, Heft 1 (1933)
Bilder und Urkunden
Mutter Cäcilie, Adolf und Emilie   Adolf mit seiner Frau Agnes   Gustav Adolf Huber             Die Kinder Hans und Ruth
   Tochter Ruth Hanack mit 96 Jahren (2006)    Foto: Ines Huber
   Studentenregister - Übersetzung       Zeugnis von 1891 - Übersetzung         Zeugnis von 1892 - Übersetzung
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